Predigt zum Ordinationsgottesdienst
        Sonntag, 27. November 2005, Evang. Kirche Buechen-Staad
        
        
        Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident 
         
        Jubel und Freude
        Liebe Ordinanden
        Liebe Gemeinde
        Mit dieser letzten der heutigen vier Kurzpredigten zum 
        Magnifikat komme ich zurück auf die ersten drei Verse dieses 
        wundervollen Lobgesangs der Maria:
        
        „Und Maria sprach:
        Meine Seele erhebt den Herrn,
        und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter:
        Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“
        (Luk. 1, 46-48a)
        
        Ich weiss nicht, wie es euch geht, liebe 
        Gemeindeglieder, aber ich finde das eine wunderschöne Geschichte.
        Da besucht Maria im judäischen Bergland ihre ebenfalls 
        schwangere Verwandte Elisabet. Die beiden sind so glücklich und bewegt. 
        Tiefe Freude und Dankbarkeit kommt über sie. Und sie loben und preisen 
        Gott, der sie, einfache Frauen, angesehen hat.
        Unsere Gefühle heute gehen offensichtlich in ganz 
        ähnliche Richtung: Dankbarkeit und Freude. Dankbarkeit und Freude, dass 
        sich gleich drei junge Menschen unter uns von Gott gerufen fühlen und 
        heute ihr Leben ganz offiziell in den Dienst der Kirche Christi stellen 
        wollen.
        Lob, Preis und Dankbarkeit bewegen uns. Aber auch das 
        Wissen darum, dass auf Karin, Martina und Klaus schwierige Aufgaben 
        warten. Sie haben das ja heute bereits selber ausgedrückt.
        In der heutigen Zeit Pfarrer oder Pfarrerin zu sein, 
        ist kein Honigschlecken, ist nicht der Weg zu einem bequemen Leben, ist 
        nicht das Rezept für gesellschaftlichen Ruhm und Akklamation der Menge.
        Pfarrerin oder Pfarrer zu sein bedeutet zuerst einmal 
        Dienst, bedeutet Engagement für Menschen, gerade auch für 
        gesellschaftlich Schwache und für an den Rand gedrängte Menschen.
        Das geht nur gut, wenn man sich von Gott angesehen 
        weiss, wenn man erfahren hat, dass er einen stärkt und begleitet.
        Bei Elisabet und Maria war das nicht anders. Keiner 
        ihrer beiden Söhne
        hatte später ein leichtes Leben; weder Johannes der Täufer noch Jesus. 
        Beide starben sie sogar gewaltsam durch die Hand von Menschen. Menschen, 
        denen sie ihr ganzes Leben gewidmet hatten.
        An diesem Tag im judäischen Bergland, am Tag der 
        beiden glücklich lobsingenden Frauen, aber steht der Lobgesang im 
        Vordergrund.
        „Meine Seele macht den Herrn gross“, singt 
        Maria, wenn man es wörtlich übersetzt. „Meine Seele macht den Herrn 
        gross“.
        
        Und dann, nocheinmal wörtlich übersetzt: „und mein Geist ist in Jubel 
        geraten über Gott, meinen Retter“.
        Ganz tief bricht diese Dankbarkeit, diese Freude aus 
        der jungen Frau heraus.
        Ich finde sie richtig ansteckend, diese Freude. Sich 
        so freuen können über Gottes Zuwendung! Ihm so dankbar sein! Das Schöne, 
        das Gute im Leben als Gabe unseres guten Gottes, Retters und Begleiters. 
        Kein sich Brüsten über die eigene Tüchtigkeit und Genialität. Nein, 
        Dankbarkeit und grenzenlose Freude.
         
        
        Warum denn aber, nocheinmal gefragt, diese 
        übersprudelnde Freude und Dankbarkeit der Maria?
        Sie sagt es in einem einzigen Satz und führt es in den 
        folgenden Sätzen dann noch genauer aus: „Er hat die Niedrigkeit 
        seiner Magd angesehen“, singt sie.
        Auf den ersten Blick eine eigenartige Begründung. 
        Würden wir am heutigen Tag so schnell sagen, der Grund, warum wir 
        glücklich seien, sei, dass Gott „die Niedrigkeit von Klaus, Karin und 
        Martina angesehen hat?“
        Das würde reichlich komisch und erst noch ziemlich 
        fromm tönen. Ich glaube aber, dass dieser Satz tatsächlich auch für uns 
        ganz Entscheidendes sagt.
        Das Schlüsselwort ist „angesehen“. Gott hat Maria 
        angesehen.
        Gott sieht dich an. Er sieht dich an als einzelnen 
        Menschen. Wie unbedeutend und klein im Meer der unendlich vielen 
        Menschen auf Erden du auch sein magst: er schaut dich ganz persönlich 
        an.
        „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich 
        habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ (Jes. 43,1), so 
        lesen wir bereits beim Propheten Jesaja, und so wiederholen wir es an 
        jeder Taufe.
        Gott sieht jedes Einzelne von uns an, liebe 
        Gemeindeglieder. Gott hat jedes Einzelne von euch angesehen und 
        ausgewählt, liebe Martina, liebe Karin, lieber Klaus.
        Das ist der Grund zum fröhlich Sein! Das ist der 
        Grund, sich zuversichtlich zum Pfarrer und zur Pfarrerin ordinieren zu 
        lassen!
        Lassen wir deshalb Jubel und Dankbarkeit über uns 
        kommen! Gott sieht uns an. Gott hat uns angesehen. Gott wird uns weiter 
        ansehen. Jedes Einzelne. Jedes so, wie es je gerade ist.
         
        
        Und jetzt noch ein Letztes. Wenn dem so ist, dass es 
        für Menschen so entscheidend ist, angesehen zu werden, dann bedeutet das 
        auch ganz Entscheidendes für den Beruf des Pfarrers.
        Wenn sich Menschen danach sehnen, inmitten der Masse 
        der Milliarden von Menschen als einzelner Mensch angeschaut zu werden, 
        dann bedeutet das auch ganz Zentrales für unser Pfarrersein.
        Es bedeutet nämlich, dass es unsere vornehmste Aufgabe 
        ist, nun unsererseits die uns in unserem Beruf und im Alltag begegnenden 
        Menschen wirklich anzusehen. Sie ernst zu nehmen, ihnen Zeit zu 
        schenken, ihnen Liebe und Zuwendung zu schenken, sie anzunehmen, - wie 
        immer sie auch seien.
        Und das gilt gerade auch für jene Menschen, die in 
        unserer Gesellschaft nichts gelten, die an den Rand gedrängt sind: die 
        Trauernden, die Not Leidenden, die Erfolglosen, die Arbeitslosen, die 
        Drögeler, die Ausländer ohne Schweizer Pass, die Muslime, die 
        abgelehnten Asylbewerber.
        Sie alle sollen wir im Auftrag von Gott ansehen. So 
        vorurteilslos, wie Gott sie ansieht.
        Angesehen werden und ansehen, das ist die heutige 
        Botschaft dieser ersten Verse des Magnifikat. Ein glücklich machender 
        Zuspruch, der aber auch ein in den Dienst der Mitmenschen stellender 
        Auftrag ist.
        Mögen uns Angesehen Werden und Ansehen ebenfalls so 
        zum Jubeln bringen, wie sie Elisabeth und Maria zum Jubeln brachten. 
        Mögen sie die Menschen um uns herum ebenso zum Jubeln bringen, wie sie 
        Maria und Elisabeth zum Jubeln brachten.
        Gott ist mit uns. Seien wir mit den Mitmenschen!
        
        „Nahe bei Gott – nahe bei den Menschen“.
        Amen.