Ordination einer Pfarrerin
        Sonntag, 19. August 2001,  Kirche Bruggen, St. Gallen
        
        
        Predigt Pfr. Dr. Dölf Weder, Kirchenratspräsident
         
        
        Der heutige Ordinationstag ist ein Tag der Freude und 
        des Feierns. Ein junger Mensch ist bereit, sich als Pfarrerin in den 
        Dienst Gottes und der Menschen zu stellen.
      Da kann man sich ja schon fragen: Wie kommt eine junge 
      Theologin dazu, sich für ihren Ordinationsgottesdienst gerade diese, doch 
      recht dramatische, Geschichte von der Krise des Elia auszusuchen?
      Ich glaube, die Wahl ist Ausdruck dafür, dass sich heute 
      ein junger Mensch, der sich zum Dienst in der Kirche entscheidet, bewusst 
      ist, dass er oder sie keinen leichten Weg auf sich nimmt. Es ist nicht so, 
      dass einem das Pfarrersein ein bequemes, von Gott abgefedertes Leben 
      garantieren würde – im Gegenteil. Und unser heutiger Bibeltext, die 
      Geschichte von Elia, hat eben zu tun mit dem oft schwierigen Weg und den 
      oft schmerzhaften Erfahrungen von Menschen, die sich in Gottes Dienst 
      stellen lassen.
      
      Die junge Pfarrerin sprach in ihrem Predigtteil vom Zerbrechen des 
      Gottesbildes von Elia. Kurz zuvor, in der Konfrontation mit den 
      Baalspriestern, hatte er noch so stark und siegreich ausgesehen. Und dann 
      diese tiefe Krise. Elias Wunsch zu sterben, unter einem einsamen 
      Ginsterstrauch in einer einsamen Wüste. „Es ist genug“, hatte er 
      gesagt, „so nimm nun Herr mein Leben hin; ich bin nicht besser als 
      meine Väter.“ Ich bin gescheitert. Ich schaffe es auch nicht.
      
      Zwei mal kam darauf ein Engel des Herrn, erzählt der Text: „Steh auf 
      und iss! Sonst ist der Weg für dich zu weit.“
      
      Ich gebe zu, wenn ich mir diese Szene vorstelle, muss ich ein bisschen 
      schmunzeln. Sie erinnert mich an meinen Vater. Wenn ich als Kind 
      durcheinander war, wütend oder traurig, dann sagte er zu mir: „Iss zuerst 
      mal ein Butterbrot, dann sieht die Welt schon wieder anders aus.“ Das 
      Rezept scheint auch bei Elia funktioniert zu haben.
       
      
      Von Brot und Wasser dergestalt gestärkt, marschiert der 
      Prophet zum Gottesberg Horeb. 40 Tage lang. Um dort Gott seinen 
      Prophetenauftrag zurück zu geben. Die Kündigung quasi.
      
      Dass diese Kündigung gerade am Berg Horeb, am Gottesberg, ausgesprochen 
      werden soll, hat Symbolcharakter. Mehrere Jahrhunderte früher hatte hier 
      Moses von Gott die beiden Bundestafeln mit den Zehn Geboten empfangen. 
      Schon er brauchte damals zwei Anläufe, weil das Volk so widerborstig war. 
      Kaum hatte Moses den Leuten den Rücken gekehrt, waren sie bereits zum 
      Goldenen Kalb gelaufen. Und jetzt, mehrere Jahrhunderte später, ist dieses 
      Volk nach Meinung von Elia definitiv von Gott abgefallen. Weggelaufen zu 
      den Fruchtbarkeitsgöttern seiner heidnischen Umgebung im gelobten Land; 
      just dem Land, in das Gott sie geführt hatte. Treulos. Diesem Volk ist 
      nicht zu helfen, ist Elia überzeugt, und ich bin auch nicht besser als 
      meine Väter; ich schaffe es auch nicht, sie davon abzubringen.
      
      Ich kann mir Elia gut vorstellen, wie er da so allein durch die einsame 
      Wüste stapft. Zwar hat er gegessen und will nicht mehr grad sterben, so 
      wie noch einige Tage vorher unter dem Ginsterstrauch. Aber der ganzen, 
      unerfüllbaren Mission soll jetzt ein Ende gesetzt werden. Gott, es geht 
      nicht. Die Menschen sind zu schlecht. Ich bin nicht stark genug. Ich gebe 
      auf.
      Frustration, Resignation, Burn-out würden wir das heute 
      bei einem Pfarrer oder einer Pfarrerin nennen. Die Aufgabe ist schlicht 
      nicht zu erfüllen. Jedenfalls nicht von mir, ich bin zu schwach. Die Leute 
      wollen nichts wissen von dir, o Gott, und ich kann all die gestellten 
      Anforderungen nicht erfüllen.
      
      Wir heutigen Menschen beten zwar die Baalsgottheiten unserer Umgebung 
      nicht mehr so offensichtlich an. Aber sind die Situationen damals und 
      heute denn wirklich gar so unterschiedlich? Ist denn etwa heute der 
      christliche Glaube ein so grosser Erfolgsartikel? Und gibt es für einen 
      Pfarrer oder eine Pfarrerin von heute denn nicht häufig sehr berechtigten 
      Grund zu Frustration und Verzweiflung?
      
      Nach 40 Tagen erreicht Elia auf dem Berg Horeb eine Höhle und bleibt dort 
      über Nacht. Dabei wird er angesprochen von Gottes Frage: „Was machst du 
      hier, Elia?“
      Jetzt ist es, wie wenn beim Propheten die Schleusen 
      endgültig geöffnet würden. Jetzt muss es gesagt sein. Vorwurfsvoll bricht 
      es aus Elia hervor: „Geeifert habe ich für den Herrn, den Gott der 
      Heerscharen! Denn Israel hat dich verlassen; deine Altäre haben sie 
      niedergerissen und deine Propheten mit dem Schwert getötet. Ich allein bin 
      übrig geblieben, und sie trachten darnach, auch mir noch das Leben zu 
      nehmen.“
      
      Alles habe ich gegeben, mein ganzes Leben in deinen Dienst gestellt, 
      geeifert habe ich für dich – vergebens. Die Menschen wollen sich nicht 
      ändern. Bund gebrochen, Altäre geschleift, Propheten getötet. Ich allein 
      bin übrig geblieben, und auch mich wollen sie noch umbringen. Wie kannst 
      du da noch von mir verlangen, Prophet zu sein?
      Wie kann ich mich als junge Theologin in unserer 
      heutigen Zeit denn ordinieren lassen? Mein Leben auf die Karte dieses 
      Gottes setzen? In einer Firma arbeiten, von der die Menschen sich immer 
      wieder abzuwenden scheinen? In einer Organisation, die über viele 
      Jahrhunderte immer wieder kurz vor dem Bankrott zu stehen schien?
      
      Ganz ruhig kommt statt einer Antwort eine Anweisung: „Geh hinaus und 
      tritt auf den Berg vor den Herrn!“
      Wenn die Situation in unserem Leben oder Beruf schwierig 
      wird, gibt es oft keine Antworten; auch nicht von Gott. Dann gibt es nur 
      eins: Vor unsere Höhle treten und Gott begegnen.
       
      
      Und jetzt folgt diese tiefsinnige Bibelstelle, die uns 
      so viel sagt über Gottes Wesen und darüber, wie Gott in dieser Welt 
      erscheint. Und wie eben nicht. Ganz und gar anders als Elia glaubte, zeigt 
      sich der biblische Gott in unserer Welt.
      
      Elia glaubte an einen machtvollen Gott. An einen Gott in Sturm, Erdbeben 
      und Feuer. Einen Gott, der, um die Baalspriester zu besiegen, Feuer auf 
      das Brandopfer herab fallen lässt. Einen Gott, der mit des Schwertes 
      Schärfe alle Baalspriester umbringt und so den Glauben seines Volkes 
      wiederherstellt. Einen Gott, der Gerechtigkeit und Frieden schafft auf 
      dieser Erde, die Bösen und das Leid ausrottet. An einen solchen mächtigen, 
      starken und sich gegenüber den Menschen durchsetzenden Gott glaubte Elia. 
      Das ist oft auch unser Gottesbild.
      
      Dieses Gottesbild aber, ist ihm dort unter dem Ginsterbusch in der Wüste 
      zerbrochen. Zwar hatte das Brandopfer gebrannt. Zwar waren die 
      Baalspriester gestorben. Aber das Volk hatte sich nicht wirklich geändert. 
      Darum stürzte Elia in die tiefste Krise seines Lebens. Gott ist anders.
      Da oben am Berg Horeb wird ihm nun klar, dass sein Bild 
      nicht dem biblischen Gott entsprach. Zwar gibt es auf Erden Sturm, 
      Erdbeben und Feuer. Aber Gott ist nicht im Sturm. Gott ist nicht im 
      Erdbeben. Gott ist nicht im Feuer:
      
      „...ein grosser, gewaltiger Sturm, der Berge zerriss und Felsen 
      zerbrach, kam vor dem Herrn her; aber der Herr war nicht im Sturm. Nach 
      dem Sturm ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem 
      Erdbeben ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer.“
      
      Unser biblischer Gott ist nicht in lauten Tönen und Naturkatastrophen, ist 
      nicht in machtvollen und wortgewaltigen Effekten, nicht in 
      Massenbekehrungen, und nicht in grossen Medienspektakeln. Ja, aber wo 
      begegne ich denn dem lebendigen Gott?
      
      Jetzt erst folgt die vierte, fast poetisch-feine Erscheinung: „Nach dem 
      Feuer das Flüstern eines leisen Wehens. Als Elia dies hörte, verhüllte er 
      sein Angesicht mit dem Mantel, ging hinaus und trat an den Eingang der 
      Höhle.“
      
      „Das Flüstern eines leisen Wehens“ übersetzt die Zürcher 
      Übersetzung. Martin Buber, der grosse jüdische Philosoph, übersetzte noch 
      verhaltener: Es kam „die Stimme verschwebenden Schweigens“.
      
      Es ist, wie wenn die Welt nach all dem Lauten, Wilden und Zerstörerischen 
      den Atem anhielte. Plötzlich ist Ruhe, ist Schweigen, ist nur noch das 
      Flüstern eines leisen Wehens, die Stimme verschwebenden Schweigens.
      
      Interessanterweise sagt unser Text nicht, dass Gott in diesem Flüstern 
      ist. Es signalisiert nur den Zustand, die Umstände, in welchen Gott dem 
      Menschen begegnet.
      
      So tritt denn Elia, wie er dieses leise Wehen der Stille vernimmt, aus 
      seiner Höhle heraus. Das Flüstern der Stille ermutigt Menschen, aus sich 
      heraus zu treten, sich zu zeigen wie sie sind und Gott zu begegnen.
      
      Noch einmal bricht es aus Elia heraus: „Geeifert habe ich für den 
      Herrn, den Gott der Heerscharen! ... und jetzt trachten sie darnach, auch 
      mir noch das Leben zu nehmen.“
      
      Aber dann ist es, wie wenn sein Zorn und seine Enttäuschung plötzlich 
      dahin geschmolzen wären. Er lässt Gott das Wort. Er nimmt einen neuen 
      Auftrag entgegen: „Auf, zieh wieder deines Weges aus der Wüste nach 
      Damaskus, geh hinein und salbe Hasael zum König über Syrien.“
      
      Es ist das Flüstern des leisen Wehens, das Elia neu vor Gott treten lässt, 
      das ihm wieder Boden unter den Füssen gibt, ihn aufbrechen lässt aus 
      Frustration, Enttäuschung und Angst, - zu neuen Horizonten, zu einem neuen 
      Auftrag, zu einem neuen Sinn in seinem Leben.
      
      Wir wissen aus dem Neuen Testament, dass sich Gott letztgültig in Jesus 
      Christus gezeigt hat. Und auch da nicht in Kraft und mit Gewalt. Jesus 
      Christus endete in Schwachheit, im Scheitern, im Tod am Kreuz. Aber das 
      war und das ist nicht das Ende. Denn Gott ist in der Schwachheit und in 
      der Verletzlichkeit gegenwärtig.
      
      Wir wissen auch um die christliche Gemeinde. Beileibe keine ideale 
      Gemeinschaft. Aber eine Gemeinde und Gemeinschaft, von der wir gerade in 
      persönlichen Krisensituationen auch immer wieder erleben, dass sie uns mit 
      trägt. Wir sind nicht so allein dort oben auf dem Berg Horeb, wie wir 
      manchmal fälschlich glauben. Es gibt viel mehr Liebe um uns herum, als wir 
      manchmal wahrnehmen.
 
      
      Liebe Sonja, Wenn du heute ordiniert wirst, bedeutet 
      das, dass du dich zu einem nicht einfachen Dienst verpflichten lässt. Das 
      soll nicht verschwiegen werden. Deine Textwahl beweist, dass du dir dessen 
      sehr wohl bewusst bist. Auch du wirst neben viel Schönem immer wieder auch 
      mit Schwierigkeiten, mit Frustration und Verzweiflung zu kämpfen haben.
      
      Denke dann daran, dass Gott nicht in lauter Action, nicht in lärmigem 
      Aktivismus nicht in zornigem Dreinschlagen und nicht in oberflächlichem 
      Recht Behalten zu finden ist. Sondern dass der lebendige Gott Jesu Christi 
      uns Menschen dort nahe kommt, wo wir mitten in den Schwierigkeiten des 
      Lebens dem Flüstern des leisen Wehens Raum geben, aus unseren Höhlen 
      heraus treten und Gott trotz allem unsere nächsten Schritte bestimmen 
      lassen. 
      
      Schau auch um dich herum. Auf all die Menschen, die mit dir unterwegs sind 
      und dich in Liebe mit tragen. 
      
      Du darfst getrost sein, dass du in deinem kirchlichen Dienst und in deinem 
      persönlichen Leben nie allein bist. „Ich will dich mit meinen Augen 
      leiten“, sagt Gott in Psalm 32 (Vers 8); „Ich bin bei euch, alle 
      Tage, bis ans Ende der Welt“, der auferstandene Christus in Matthäus 
      28 (Vers 20). Du darfst mit Mut und Freude in den Dienst Gottes und der 
      Menschen treten!
      
      Dasselbe gilt auch für uns alle, liebe Gemeindeglieder. Gott tritt immer 
      wieder dort auf leisen Zehen in unser Leben, wo wir Sturm, Erdbeben und 
      Feuer an uns vorbeiziehen lassen, wo wir mitten in den Schwierigkeiten des 
      Lebens dem Flüstern des leisen Wehens Raum geben, aus unserer Höhle heraus 
      vor Gott hintreten und ihn unser Leben gestalten lassen.
      
      Auch wir dürfen darum fröhlich und getrost sein. Denn auch uns gilt die 
      Verheissung: „Ich will dich mit meinen Augen leiten“, „Ich bin bei 
      euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt“.
      
      Amen.